Am vergangenen Freitag hat das BVerfG nach rund fünfjähriger Verfahrensdauer eine Grundsatzentscheidung in Bezug auf das nicht nur in Rechtskreisen, sondern auch in der Öffentlichkeit und in den Medien stark diskutierte Thema Kopftuchverbot für muslimische Lehrkräfte an staatlichen Schulen gefällt.
Nachdem versehentlich bereits einen Tag zuvor bekannt geworden war, dass der Senat das pauschale Kopftuchverbot, wie es derzeit in zahlreichen Bundesländern gilt, wohl
kippen würde, bestätigte sich diese Vermutung dann mit Veröffentlichung der Pressemitteilung.
Konkret hatte das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des § 57 Abs. 4 SchulG NW und das hieraus abgeleitete pauschale, letztlich „vorsorgliche“, Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen in Nordrhein-Westfalen zu entscheiden.
In Folge dieses Verbotes war es den beiden muslimischen Beschwerdeführerinnen untersagt worden, im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit an nordrhein-westfälischen Schulen ein Kopftuch oder eine sonstige Kopfbedeckung zu tragen, welche Rückschlüsse auf deren Religionsangehörigkeit zuließ. Als sie sich weigerten, dem Verbot Folge zu leisten, wurden sie abgemahnt und im Falle der von unserer Kanzlei vertretenen Lehrerin sogar gekündigt.
Nachdem die hieraufhin vor den Arbeitsgerichten erhobenen Klagen ohne Erfolg geblieben und in letzter Instanz vom BAG als unbegründet zurückgewiesen worden waren, legten die beiden betroffenen Pädagoginnen Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein, da Ihrer Ansicht nach mit dem in NRW praktizierten pauschalen Kopftuchverbot ein schwerwiegender, nicht gerechtfertigter Eingriff in ihre, von Verfassung wegen gewährleistete, Glaubensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einhergeht.
Diese Rechtsauffassung hat das BVerfG nunmehr bestätigt. Der am Freitag veröffentlichten Pressemitteilung zu Folge hält der Erste Senat ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild für nicht vereinbar mit der Glaubens– und Bekenntnisfreiheit von Pädagoginnen und Pädagogen. Demzufolge bedarf es nach Auffassung der Richter einer verfassungskonformen Einschränkung des § 57 Abs. 4 S. 1 und 2 SchulG NW dahingehend, dass ein hierauf gestütztes Verbot etwa des Tragens eines religiös bedingten Kopftuches nur bei einer hinreichend konkreten Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgesprochen werden darf, nicht hingegen — wie dies bisher als ausreichend erachtet wurde — schon in Folge einer bloß abstrakten Gefahr für vorgenannte Rechtsgüter.
Interessanter Weise hatte das BVerfG noch im Jahre 2003, als es schon einmal mit dieser Thematik befasst war, ein pauschales, gewissermaßen „vorsorgliches“ Kopftuchverbot noch für rechtmäßig erachtet, sofern es auf einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage beruhe. In Folge dessen wurden in NRW wie auch in zahlreichen weiteren Bundesländern entsprechende Normen zur Legitimierung eines pauschalen Kopftuchverbots erlassen.
Durch die Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung hat das BVerfG nunmehr der besondere Bedeutung der grundgesetzlich garantieren Religionsfreiheit Rechnung getragen und zutreffender Weise darauf hingewiesen, dass das Verbot des Tragens eines Kopftuches einen schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit der Beschwerdeführerinnen darstellt, welcher nur ausnahmsweise durch ein Überwiegen anderer, besonders schützenswerter Rechtsgüter von Verfassungsrang gerechtfertigt ist. Sofern eine solche besondere Gefährdungslage insbesondere im Hinblick auf den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität nicht nachgewiesen ist, erweist sich ein entsprechendes Verbot nach Auffassung des Senats demgegenüber als unverhältnismäßig und unzumutbar.
Gleichzeitig hat das BVerfG mit seiner Grundsatzentscheidung ein wichtiges, vielleicht längst überfälliges, Zeichen für mehr Toleranz gegenüber anderen religiösen Überzeugungen und Weltanschauungen gesetzt. Zudem haben die Richter mit der in Rede stehenden Entscheidung letztlich auch den Bedürfnissen Rechnung getragen, welche mit dem Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft und der friedlichen Co-Existenz verschiedener Religionen einhergehen.
In Bezug auf letztgenannten Punkt enthält der Beschluss des BVerfG darüber hinaus auch insoweit noch eine weitere bedeutende Feststellung, als er die Regelung des § 57 Abs. 4 S. 3 SchulG NW für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt. Die dort unmissverständlich enthaltene Privilegierung christlich und jüdisch verankerter religiöser Bekundungen gegenüber Darstellungen anderer Religionen stelle eine gleichheitswidrige, da nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigte, Ungleichbehandlung und eine verfassungsrechtlich nicht zu legitimierende Benachteiligung der Angehörigen anderer Religionen dar. Auch an dieser Stelle mahnen die Richter also noch einmal an, alle Religionen gleich zu behandeln und nicht unterschiedliche Maßstäbe hinsichtlich der Frage der Tolerierbaren und Erlaubten anzulegen.
Insgesamt stellt der Beschluss des BVerfG nicht nur aus juristischer Sicht eine hochinteressante, sondern insbesondere auch aus politischer und gesellschaftlicher Sicht sehr bedeutungsvolle Entscheidung dar, die sicherlich Anstoß für eine Vielzahl weiterer Debatten rund um das Thema Kopftuchverbot, Umgang mit den verschiedenen Religionszugehörigkeiten in unserer Gesellschaft und dem Gebot der staatlichen Neutralität sein wird.
Abgesehen von der weitreichenden Bedeutung der neuen Grundsatzentscheidung des BVerfG stellt der Beschluss konkret für unsere Mandantin einen hart erkämpften, zwischenzeitlich bereits verloren geglaubten Erfolg dar, der sie berechtigter Weise hoffen lässt, zukünftig wieder in ihrem Wunschberuf als Lehrerin tätig sein zu können hierbei nach der Qualität Ihres Unterrichts und ihrer pädagogischen Befähigung beurteilt zu werden.