Die Zeitschrift IÖD „Informationsdienst öffentliches Dienstrecht“ herausgegeben von Rechtsanwalt F. Wieland informiert 2-wöchentlich über die aktuelle Rechtsprechung im Beamtenrecht, Beamten– versorgungsrecht, Besoldungsrecht, Disziplinarrecht und Personal– vertretungsrecht. Einige besonders wichtige Leitsätze von im Jahrgang 2013 abgedruckten Entscheidungen sind nachfolgend wiedergegeben:
Bewerbungsverfahrensanspruch; Rechtsschutzvereitelung; Beförderungsrangliste; mehrere Planstellen; Anlassbeurteilung; Fortentwicklungsgebot
Amtliche Leitsätze:
1. Bei Beförderungen auf der Grundlage einer Beförderungsrangliste erstreckt sich der Bewerbungsverfahrensanspruch auf alle aktuell vorgesehenen Beförderungen. Wenn der unberücksichtigt gebliebene Beamte den einstweiligen Rechtsschutzantrag gegen mehrere vorgesehene Beförderungen richtet, ist der Dienstherr grundsätzlich verpflichtet, alle von dem Antrag erfassten Beförderungen vorläufig nicht vorzunehmen.
2. Eine Anlassbeurteilung, die zwischen zwei Regelbeurteilungen erstellt wird, darf die Feststellungen und Bewertungen zu Eignung, Leistung und Befähigung in der zuvor erstellten Regelbeurteilung lediglich fortentwickeln.
BVerwG, Beschluss vom 22.11.2012 – 2 VR 5.12
Konkurrentenklage; Präsident des Sozialgerichts; dienstliche Beurteilung; innegehabtes Statusamt; Qualifikationsvorsprung; Einzelmerkmale
Nichtamtlicher Leitsatz:
Bei wesentlich gleichem Gesamtergebnis unter Berücksichtigung unterschiedlicher Maßstäbe aufgrund unterschiedlicher Statusämter der Bewerber, kommt ein weiterer Vergleich der Kandidaten anhand der für das Beförderungsamt wesentlichen Einzelaussagen der dienstlichen Beurteilungen in Betracht. Ergibt der Gesamtvergleich, dass keine wesentlich gleichen Beurteilungen vorliegen, so ist der unmittelbare Vergleich einzelner Feststellungen der Beurteilungen im Bewerbervergleich allerdings nur bei Vorliegen zwingender Gründe zulässig.
BVerfG, Beschluss vom 04.10.2012 – 2 BvR 1120/12
Urlaubsabgeltungsanspruch; Dienstunfähigkeit; RL 2003/88/EG; Mindesturlaub; Mehrurlaub; Schwerbehindertenzusatzurlaub; Verfall; Verjährung
Amtlicher Leitsatz:
Art. 7 Abs 2 RL 2003/88/EG begründet nach der Rechtsprechung des EuGH auch für Beamte einen Anspruch auf Abgeltung von Urlaub, den sie krankheitsbedingt vor Eintritt in den Ruhestand nicht nehmen konnten (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Mai 2012 – Rs. C-337/10, Neidel – NVwZ 2012, 688 [EuGH 03.05.2012 — C-337/10]).
BVerwG, Urteil vom 21.01.2013 – 2 C 10.12
Beförderungen; Telekom AG; Dienstherrenbefugnis; Beurteilung; Fortschreibung; Zuweisung; Beurlaubung; Verteilung Planstellen
Amtlicher Leitsatz:
1. Eine Beurteilungsvorgabe des Dienstherrn, nach der nur so viele Spitzennoten vergeben werden dürfen, wie er Beförderungsstellen ausgebracht hat, verletzt den Anspruch des Beamten auf leistungsgerechte Beurteilung.
2. Der Vorstand der Deutschen Telekom AG kann seine ihm nach § 1 Abs. 2 PostPersRG zukommenden dienstrechtlichen Befugnisse nur aufgrund gesetzlicher Grundlage übertragen; eine Übertragung auf konzerneigene Gesellschaften des Privatrechts ist im Rahmen der §§ 1 Abs. 4, 3 Abs. 1 PostPersRG nicht möglich.
3. Eine Beurteilung ist entsprechend § 43 VwVfG nur dann wirksam und kann damit als Grundlage für eine Auswahlentscheidung herangezogen werden, wenn sie dem Beamten eröffnet worden ist. Das gilt auch dann, wenn sich der Beamte aufgrund einer Erkrankung für längere Zeit nicht im Dienst befindet. Ggf. ist eine Beurteilung postalisch zu übermitteln.
4. Der Deutschen Telekom AG steht bei der Zuweisung von Beförderungsplanstellen an konzerneigene Betriebseinheiten in gleichem Maße ein Organisationsermessen zur bestmöglichen Erreichung ihrer unternehmerischen Zwecke zu, wie dies für Behörden im Hinblick auf die bestmögliche Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben anerkannt ist.
5. Nach § 6 Abs. 2 PostLV sind beurlaubte Beamte, die aufgrund eines privatrechtlichen Arbeitsvertrags eine Tätigkeit ausüben, vom Dienstherrn anhand ihrer tatsächlich erbrachten Leistungen zu beurteilen; eine Fortschreibung ihrer früheren Beurteilung kommt nur in Betracht, wenn keine geeignete vorbereitende Stellungnahme des Unternehmens vorliegt.
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 B 133/13
Topfwirtschaft; Dienstpostenbündelung; Beförderungsauswahl; Anforderungen des Dienstpostens; Rangdienstalter; Beförderungsanspruch
Nichtamtliche Leitsätze:
Eine Beförderungsauswahlentscheidung hat stets in Bezug auf das konkret angestrebte Amt zu erfolgen bei Vornahme einer Prognose, bei welchem Beamten zukünftig die Erfüllung der Aufgaben am Besten erwartet werden kann. Das Rangdienstalter darf erst nach Ausnutzen aller leistungsnahen Erkenntnismittel herangezogen werden.
Bei Auseinanderfallen von Statusamt und Dienstposten kann der betroffene Beamte auch aus Art. 33 Abs. 5 GG keinen Beförderungsanspruch herleiten
BVerfG, Beschluss vom 07.03.2013 – 2 BvR 2582/12
Versetzung; Ermessen; Fürsorgepflicht; Massenversetzung; Auswahlentscheidung; Punktesystem; Dienstvereinbarung
Amtlicher Leitsatz:
Entschließt sich der Dienstherr bei einer Versetzungsmaßnahme, die eine Vielzahl von Beamten betrifft, im Rahmen seines Auswahlermessens die aufgrund der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht zu berücksichtigenden Belange anhand eines Punktesystems zu erfassen und zu bewerten, um daraus eine Rangfolge der zu versetzenden Beamten zu erstellen, so muss dieses Punktesystem so gestaltet sein, dass dadurch kein aufgrund der Fürsorgepflicht zu beachtender Umstand der privaten Lebensführung des einzelnen Beamten unberücksichtigt bleibt.
BVerwG, Beschluss vom 18.02.2013 – 2 B 51/12
Konkurrentenstreit; Auswahlentscheidung; Dokumentationspflicht; Topfwirtschaft; Dienstpostenbündelung; Massen– verwaltung
Amtlicher Leitsatz:
Zu der Pflicht der Behörde, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich zu dokumentieren.
Das ausnahmsweise Absehen von der nach § 18 BBesG grundsätzlich gebotenen nichtnormativen („spitzen“) Ämterbewertung verlangt, dass die Bündelung von Dienstposten („Topfwirtschaft“) gerade mit Blick auf die speziellen Gegebenheiten in der betroffenen Behörde und insbesondere mit Blick auf die den fraglichen Dienstposten anfallenden Aufgaben und Tätigkeiten sachlich notwendig ist, um die Funktionsfähigkeit der Behörde im in Rede stehenden Bereich zu sichern (hier bejaht für die Bündelungen von Dienstposten im gehobenen Dienst des Bundesamtes für Verfassungsschutz).
OVG Münster, Beschluss vom 22.03.2013 – 1 B 185/13
Beachte aber jetzt Artikel 1 ProfBesNeuG Professorenbesoldungsneuregelungsgesetz, G. v. 11.06.2013 BGBl. I S. 1514 (Nr. 29); Geltung ab 01.08.2013, abweichend siehe Artikel 11
§ 18 Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung
(Text alte Fassung): Die Funktionen der Beamten, Richter und Soldaten sind nach den mit ihnen verbundenen Anforderungen sachgerecht zu bewerten und Ämtern zuzuordnen. Die Ämter sind nach ihrer Wertigkeit unter Berücksichtigungder gemeinsamen Belange aller Dienstherren den Besoldungsgruppen zuzuordnen.
(Text neue Fassung): Die Funktionen der Beamten und Soldaten sind nach den mit ihnen verbundenen Anforderungen sachgerecht zu bewerten und Ämtern zuzuordnen. Eine Funktion kann bis zu drei Ämtern einer Laufbahngruppe, in obersten Bundesbehörden allen Ämtern einer Laufbahngruppe zugeordnet werden. Bei Soldaten gilt dies in derLaufbahngruppe der Mannschaften für alle Dienstgrade und in der Laufbahngruppe der Unteroffiziere für bis zu vier Dienstgrade.
Zurruhesetzung; Dienstunfähigkeit; entscheidungserheblicher Zeitpunkt; Beweiserhebung; Herstellen Spruchreife; fehlende Personalratsbeteiligung
Amtlicher Leitsatz:
Bei einer Klage gegen die Zurruhesetzung eines Beamten wegen Dienstunfähigkeit ist das Gericht verpflichtet, die Spruchreife der Sache herzustellen und ggf. zu diesem Zweck Beweis zur Frage der Dienstunfähigkeit des Beamten bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu erheben.
Verweigert sich ein Beamter ohne Angabe von Gründen einer solchen Beweiserhebung, kann dies zu seinen Lasten gewertet werden.
Bei seiner Beweisanordnung braucht das Gericht nicht die formalen Anforderungen zu beachten, die für die vom Dienstherrn angeordnete Untersuchung der Dienstfähigkeit gelten.
§ 46 VwVfG ist im Zurruhesetzungsverfahren bei fehlender Beteiligung des Personalrates oder der Gleichstellungsbeauftragten anwendbar. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte einer gerichtlichen Beweisanordnung unentschuldigt nicht nachkommt und deshalb – bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt – von einer Dienstunfähigkeit ausgegangen werden kann.
OVG Münster, Urteil vom 18.04.2013 – 1 A 1707/11
Vorläufiger Rechtsschutz; Antragserweiterung nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist; Verfahrensabbruch; Dienstpostenbewertung
Amtlicher Leitsatz:
Die Erweiterung des erstinstanzlich erfolglos gebliebenen Begehrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist grundsätzlich unzulässig.
In beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitigkeiten folgt aus § 44a VwGO das Verbot, die Rechtmäßigkeit von Verfahrenshandlungen oder Zwischenentscheidungen –hier: Bewertung des Dienstpostens eines Bewerbers– zum Gegenstand eines selbständigen gerichtlichen Verfahrens zu machen; entsprechende Meinungsverschiedenheiten sind vielmehr – falls entscheidungserheblich – im Rahmen der Kontrolle der Auswahlentscheidung zu klären.
Ein Beförderungsauswahlverfahren wird durch Vollzug der Beförderung(en) oder durch Abbruch abgeschlossen. Ein Abbruch und der dafür maßgebliche Grund müssen aktenkundig gemacht und den Betroffenen mitgeteilt werden.
Wird die Rechtmäßigkeit des einem Dienstpostenbewertungskatalog zugrunde liegenden Systems in Frage gestellt, verbietet es sich angesichts des weiten Beurteilungsspielraums des Dienstherrn bei der Dienstpostenbewertung, dass ein Gericht für einen einzelnen Dienstposten eine vom Katalog abweichende Bewertung durch einstweilige Anordnung festlegt.
OVG Saarlouis, Beschluss vom 29.05.2013 – 1 B 314/13
Beförderung; Anfechtung Ernennung; Konkurrentenklage; Ämterstabilität
Amtlicher Leitsatz:
1. Der Grundsatz der Ämterstabilität steht der Aufhebung der Ernennungen nicht entgegen, wenn der Kläger unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG daran gehindert worden ist, seine Rechtsschutzmöglichkeiten vor den jeweiligen Ernennungen auszuschöpfen, vgl. BVerwG, Urt. v. 04.11.2010 – 2 C 16/09.
2. Der Kläger kann eine erneute Entscheidung über die Stellenvergabe nicht beanspruchen, wenn seine Auswahl bei fehlerfreier Durchführung des Auswahlverfahrens nicht möglich erscheint.
3. Die Möglichkeit der Ernennung bemisst sich maßgeblich danach, wie die Beklagte bei erneuter Auswahlentscheidung zu entscheiden hätte.
VG Bremen, Urteil vom 30.04.2013 – 6 K 437/12
Dienstpostenkonkurrenz; vorverlagerte Auswahlentscheidung; Stellenausschreibung; Anforderungsprofil; dienstliche Beurteilung; Organisationsgewalt; spezifische Anforderungen des Dienstpostens
Amtlicher Leitsatz:
Die an Art. 33 Abs. 2 GG zu messende Auswahlentscheidung ist auf das Amt im statusrechtlichen Sinne bezogen und darf daher grundsätzlich nicht anhand der Anforderungen eines konkreten Dienstpostens erfolgen.
Ausnahmen hiervon sind nur zulässig, wenn die Wahrnehmung der Dienstaufgaben des ausgeschriebenen Dienstpostens zwingend besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten voraussetzt, die ein Laufbahnbewerber regelmäßig nicht mitbringt und sich in angemessener Zeit und ohne unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung auch nicht verschaffen kann. Diese Voraussetzungen hat der Dienstherr darzulegen; sie unterliegen voller gerichtlicher Kontrolle.
Aus der Stellenausschreibung muss sich ergeben, welche Anforderungen von allen Bewerbern zwingend erwartet werden und welche Kriterien zwar nicht notwendig für eine Einbeziehung in das Auswahlverfahren sind, bei im Wesentlichen gleicher Eignung der Bewerber aber maßgeblich berücksichtigt werden.
Ob und in welchem Umfang ein Anforderungsprofil Bindungswirkung entfaltet, muss durch eine entsprechend § 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont potentieller Bewerber orientierte Auslegung ermittelt werden.
BVerwG, Beschluss vom 20.06.2013 – 2 VR 1.13
Stellenzulage; Rückforderung; ordnungsgemäße Billigkeitsentscheidung
Nichtamtliche Leitsätze:
1. Zu den Sorgfaltspflichten des Beamten gehört es aufgrund seiner beamtenrechtlichen Treuepflicht auch, die Besoldungsmitteilungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und auf Überzahlungen zu achten.
2. Der Beamte darf sich insbesondere dann, wenn er ohne erkennbaren Grund höhere Leistungen erhält, nicht ohne Weiteres auf die Rechtmäßigkeit der Zahlung verlassen.
3. Anforderungen an eine allen Umständen des Einzelfalles gerecht werdende für die Behörde zumutbare und für den Beamten tragbare Lösung ermöglichende Billigkeitsentscheidung, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen.
4. Die festgestellte Rechtsfehlerhaftigkeit einer Billigkeitsentscheidung führt zur Rechtswidrigkeit der nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG getroffenen Rückforderungsentscheidung.
OVG Münster, Urteil vom 02.05.2013 – 1 A 2045/11
Im Anschluss an: BVerwG, Urteil vom 26.04.2012 – 2 C 15/10
Rückforderung von Bezügen; Wechselschichtzulage; Verschulden; Billigkeitsentscheidung
Leitsatz
1. Bei der Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG ist in der Regel von der Rückforderung teilweise abzusehen, wenn der Grund für die Überzahlung in der überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt. In diesem Fall ist ein Absehen von der Rückforderung in der Größenordnung von 30 % des überzahlten Betrages im Regelfall angemessen.
2. Die Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG ist notwendiger und untrennbarer Bestandteil der Rückforderungsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG.
Dienstunfähigkeit; Verweigerung ärztlicher Begutachtung; Untersuchungsaufforderung; Zweifel an Dienstunfähigkeit; Anhörung; Suchpflicht
Amtlicher Leitsatz:
Die Rechtmäßigkeit einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand wegen der Weigerung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen setzt die Rechtmäßigkeit der Aufforderung voraus. Die Aufforderung unterliegt im Rahmen der Anfechtungsklage gegen die Zurruhesetzungsverfügung der vollen gerichtlichen Nachprüfung.
Die Untersuchungsaufforderung muss sich auf solche Umstände beziehen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig (im Anschluss an das Urteil vom 26.04.2012 – BVerwG 2 C 17.10 –).
Die Pflicht zur Suche nach der Möglichkeit für eine anderweitige Verwendung eines dienstunfähigen Beamten gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Dienstunfähigkeit aus der Verweigerung einer ärztlichen Begutachtung geschlossen wird.
BVerwG, Urteil vom 30.05.2013 – 2 C 68/11
Im Anschluss an: BVerwG, Urteil vom 26. April 2012 – 2 C 17/10
Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit; Untersuchungsanordnung
Leitsatz
1. Die gegenüber einem Beamten ergangene Anordnung, sich zur Klärung seiner Dienstfähigkeit ärztlich untersuchen zu lassen, ist kein Verwaltungsakt. (Rn.14)
2. Die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung muss ihren Anlass erkennen lassen. Der Beamte muss nachvollziehen können, ob die aufgeführten Umstände die behördlichen Zweifel an seiner Dienstfähigkeit rechtfertigen. (Rn.20)
3. Die Anordnung muss sich auf solche Umstände beziehen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig. Der Aufforderung müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde gelegt werden, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als nahe liegend erscheinen lassen. (Rn.19)
Fundstellen
Schadensersatz; unterbliebene Beförderung; Beurteilung; Bekanntgabe; Wirksamkeit; Plausibilität; Aktualität; Vergleichbarkeit; Beweislastumkehr
Amtliche Leitsätze:
Erfolgreiche Berufung einer Polizeikommissarin, die mit ihrer Klage SchadenserS. wegen unterbliebener Beförderung begehrt.
Eine Auswahlentscheidung, die auf eine noch nicht bekanntgegebene Beurteilung zurückgreift, ist rechtlich fehlerhaft.
Zur Plausibilität einer Beurteilung, die von einem den überwiegenden Beurteilungszeitraum erfassenden Beurteilungsbeitrag sowohl im Gesamtergebnis als auch in den Hauptmerkmalen jeweils um einen Punkt abweicht.
Die Beurteilungen von um eine Beförderungsstelle konkurrierenden Bewerbern sind – in zeitlicher Hinsicht – nicht hinreichend miteinander vergleichbar, wenn die jeweiligen Beurteilungszeiträume sich nicht einmal überschneiden und überdies durch einen langen Zeitraum, hier von elf Monaten, getrennt sind.
Bedarf es im Rahmen eines Schadensersatzbegehrens für die Ermittlung des hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Verhalten des Dienstherrn der Nachzeichnung zahlreicher weiterer, komplexer und in der Sphäre des Dienstherrn liegender Verfahrensschritte bzw. Entscheidungsprozesse, die sich nicht mehr aufklären lassen, findet eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Klägers statt.
OVG Münster, Urteil vom 27.06.2013 – 6 A 63/12
So auch OVG Münster, Urteil vom 20.06.2013, 1 A 1/11 (Homepage Rae Wieland)
Das OVG Münster hat in einem von unserem Büro vertretenen Fall ein Urteil des VG Köln vom 11.11.2010, 15 K 4137/07, bestätigt, indem dieses das beklagte Amt verurteilt hatte, den Kläger im Wege des Schadensersatzes dienst-, besoldungs– und versorgungsrechtlich so zu stellen, als ob er zu einem bestimmten in der Vergangenheit liegenden konkreten Zeitpunkt nach Besoldungsgruppe A 15 befördert worden wäre. Die Entscheidung ist insoweit von Bedeutung, als das OVG nochmals ausführlich begründet, dass in Konstellationen, in denen der hypothetische Kausalverlauf unerweislich bleibt, diese Unerweislichkeit zu Lasten der beklagten Behörde geht unter Berücksichtigung der verschiedenen Fehler, die auch im vorliegenden Fall im Laufe des Auswahlverfahrens zum Tragen gekommen sind.
Abbruch Auswahlverfahren; unselbständige Verfahrenshandlung; Anfechtungsklage; Leistungsklage; einstweiliger Rechtsschutz; Vorverfahren; Beamtenbewerber; Jahresfrist
Amtlicher Leitsatz:
1. Gegen den Abbruch eines beamtenrechtlichen Auswahlverfahren ist einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 VwGO und im Hauptsacheverfahren eine auf Fortsetzung des Auswahlverfahrens gerichtete Leistungsklage möglich.
2. Bei einer Leistungsklage auf Fortsetzung eines beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrens handelt es sich um eine Klage aus dem Beamtenverhältnis im Sinne von § 54 Abs. 1 BeamtStG, für die gemäß § 54 Abs. 2 BeamtStG ein Vorverfahren vorgeschrieben ist, auch wenn der Kläger seine Aufnahme in ein Beamtenverhältnis erst noch erstrebt.
VGH Kassel, Beschluss vom 10.07.2013 – 1 A 1084/13.Z
Schadensersatzanspruch wegen unterbliebener Beförderung; Abbruch des Auswahlverfahrens
Nichtamtlicher Leitsatz:
Der Ausschluss des Schadensersatzanspruchs bei Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens ist dogmatisch nicht zwingend.
BVerfG, Beschluss vom 03.07.2013 – 2 BvR 1541/11 (vorgehend: BVerwG Urt. v. 31.03.2011 – 2 A 2.09)
Übernahme Beamtenverhältnis; Beteiligung Gleichstellungsbeauftragte; Verfahrensfehler; Kausalität;Offensichtlichkeit
Amtlicher Leitsatz:
Erfolgreiche Berufung eines Lehrers, dessen Klage auf die Neubescheidung seines Antrags auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe gerichtet ist.
Zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 46 VwVfG NRW aufgrund der nachträglichen Bekundung der Behörde, sie hätte im Falle der — versäumten — Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten in der Sache die gleiche Entscheidung getroffen, sowie aufgrund der nachträglichen Erklärung der Gleichstellungsbeauftragten, sie hätte der Entscheidung zugestimmt.
OVG Münster, Beschluss vom 17.07.2013 — 6 A 2296/11
Benachteiligung im Stellenbesetzungsverfahren durch unterlassene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
Leitsätze
1. In einem Stellenbesetzungsverfahren kann eine Benachteiligung im Sinne von § 7 Abs. 1 AGG bereits in der entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX unterlassenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und der damit einhergehenden Vorenthaltung einer möglichen Verfahrensabsicherung oder –begleitung durch diese Vertretung zu sehen sein.
2. Eine Benachteiligung im Sinne von § 7 Abs. 1 AGG setzt keine Verletzung in subjektiven Rechten voraus.
3. Zur Heilung eines Verstoßes gegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX durch nachträgliche Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (hier verneint).
4. Die Höhe des Entschädigungsanspruchs im Falle des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG ist bei Geltendmachung einer Benachteiligung in einem Beförderungsverfahren nicht auf die Differenz zwischen der dreifachen monatlichen Grundbesoldung des bislang innegehabten und derjenigen des angestrebten Amts beschränkt.
VGH Baden-Württemberg Urteil vom 10.9.2013, 4 S 547/12