In einer Grundsatzentscheidung vom 31.03.2017, 1 B 6/17, hat sich das OVG Münster in einem von unserer Kanzlei betriebenen Konkurrentenstreitverfahren sehr ausführlich über die in der Praxis häufig vorkommende Frage geäußert, auf welche Auswahlkriterien bei Gleichstand mehrerer Bewerber in der aktuellen Beurteilung abzustellen ist. Im Zuge dessen traf der erkennende Senat insbesondere folgende Feststellungen:
- In Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerwG darf sich die unter den Bewerbern zu treffende Auswahl nicht an den Anforderungen des konkret zu besetzenden Dienstpostens orientieren, maßgeblicher Bezugspunkt ist vielmehr das angestrebte Statusamt. Namentlich darf ein Bewerber nicht vom Auswahlverfahren ausgeschlossen werden, nur weil er den gesonderten Anforderungen des zu besetzenden Dienstpostens nicht entspricht.
- Sofern eine Ausschöpfung des Anforderungsprofils vorgenommen wird, ist diese nur dann zulässig, wenn sie sich an den Einzelmerkmalen der dienstlichen Beurteilung orientiert.
- Auch die dienstliche Erfahrung eines Beamten stellt im Rahmen der Befähigung ein leistungsbezogenes Merkmal nach Art. 33 Abs. 2 GG dar.
- Vorbeurteilungen gegen ebenfalls Aufschluss über Eignung, Befähigung und Leistung und können insbesondere bei einem Vergleich zwischen Bewerbern um ein Beförderungdamt bedeutsame Rückschlüsse und Prognosen für die künftige Bewährung in dem Beförderungsamt geben. Bei einem Stichentscheid unter zwei oder mehr aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten Beamten sind sie zwingend in den Blick zu nehmen und gehen Hilfskriterien in jedem Fall vor, vlg. insoweit auch § 33 Abs. 1 S. 2 BLV.
In dem entschiedenen Fall hatte der Antrag letztlich deshalb Erfolg, weil der Dienstherr – wozu er nach Art. 33 Abs. 2 GG, § 33 Abs.1 Satz 2 BLV verpflichtet gewesen wäre – die früheren Beurteilungen nicht hinreichend in den Blick genommen hat. Die Berücksichtigung von Vorbeurteilungen ist insoweit Pflicht des Dienstherrn bei Gleichstand in der aktuellen Beurteilung; er muss diese zumindest zur Kenntnis nehmen. Sich hieraus ergebende Unterschiede (etwa hinsichtlich der Gesamtnote) müssen berücksichtigt werden, ohne dass diese schon automatisch ein Ergebnis für den vorzunehmenden Leistungsvergleich vorgeben.
Der Konkurrentenstreit betraf die Vergabe eines Beförderungsdienstpostens, auf dem eine Beförderung in ein Amt der Besoldungsgruppe A 16 möglich ist. Beworben hatten sich u. a. zwei Bewerberinnen, welche in den aktuellen dienstlichen Beurteilungen im Wesentlichen gleich gut beurteilt wurden. Ohne neben den aktuellen auch deren vorangegangene dienstliche Beurteilungen in den Blick zu nehmen, hatte die Antragsgegnerin sich für die Beigeladene entschieden mit dem Argument, dass diese mit Blick auf die dienstpostenspezifischen Anforderungen über deutlich umfangreichere Erfahrungen und Kenntnisse verfüge, als die Antragstellerin. Diese Vorgehensweise erklärte das OVG Münster für unzulässig, da hierdurch die Auswahlentscheidung letztlich ausschlaggebend auf dienstpostenbezogene Kriterien gestützt worden sei, ohne Vorbeurteilungen heranzuziehen und deren Unterschiede zu berücksichtigen.
Gerade die Tatsache, dass beide Bewerberinnen Juristinnen sind, veranlasste das OVG Münster zu der folgenden zutreffenden Feststellung: „Im Übrigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Juristen, die seit Jahren in der öffentlichen Verwaltung tätig sind, sich innerhalb überschaubarer Zeit auch in bisher nicht vertiefte Rechtsgebiete wie das Personalwesen einarbeiten können.“. Dass dies im vorliegenden Fall ausnahmsweise anders sein sollte, vermochte die Antragsgegnerin nicht hinreichend darzulegen.
Anlässlich entsprechender Einwände der Antragsgegnerin hat sich der 1. Senat des OVG Münster auch noch mit der Rechtsprechung des BVerfG zum maßgeblichen Bezugspunkt einer Auswahlentscheidung sowie den Vorgaben des Bundesgleichstellungsgesetz auseinander gesetzt und ausgeführt, dass sich daraus nichts anderes ergebe, als dass Auswahlentscheidungen nach Art. 33 Abs. 2 GG auf das Statusamt statt auf das konkret-funktionelle Amt bezogen seien.