Bereits in unserem Beitrag Rechtstipp Frauenförderung NRW vom 01.07.2016 hatten wir dargelegt, dass und warum die Modifizierung der bis dato in § 20 Abs. 6 LBG NRW a. F. enthaltenen beamtenrechtlichen Regelung zur Frauenförderung im Rahmen von Auswahlverfahren ernstlichen Rechtmäßigkeitsbedenken begegnet. Jetzt hat sich das OVG Münster in seiner jüngst veröffentlichten Entscheidung vom 21.02.2017 — 6 B 1109/16 — ausführlich mit der Rechtmäßigkeit der im Zuge des DRModG NRW eingeführten Neuregelung in § 19 Abs. 6 S. 3 LBG NRW n .F. auseinandergesetzt und diese Vorschrift wegen Verstoßes gegen das Gebot der Bestenauslese des Art. 33 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärt.
Insoweit teilt der Senat die von uns vertretene Rechtsauffassung, dass die von dem Gesetzgeber gewählte Formulierung in § 19 Abs. 6 S. 3 LBG NRW n. F., wonach zur Ermittlung eines etwaigen Qualifikationsvorsprungs eines oder mehrerer Bewerber allein das Gesamturteil der jeweils aktuellen dienstlichen Beurteilungen der Bewerber in den Blick genommen und bei einem insoweit festzustellenden Qualifikationsgleichstand unmittelbar auf das Hilfskriterium der Frauenförderung abgestellt wird, Frauen also bei gleichem Gesamturteil in der aktuellen dienstlichen Beurteilung vorrangig befördert werden, mit höherrangigem Recht nicht vereinbar ist.
Konkret hat das OVG Münster hierzu folgende Feststellungen getroffen:
- Wird die (nach § 19 Abs. 6 S. 3 LBG NRW n. F. maßgebliche) Frage der „im Wesentlichen gleichen Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung“ der Bewerber nur anhand der in den letzten aktuellen Beurteilungen ausgewiesenen Gesamturteile beantwortet und weiteren leistungsbezogenen Kriterien, vor allem den in den jeweiligen aktuellen Beurteilungen enthaltenen Einzelfeststellungen, von vorneherein keine Relevanz beigemessen, beruht die Auswahlentscheidung auf einem unzureichenden Qualifikationsvergleich und verletzt insoweit den Bewerbungsverfahrensanspruch des unterlegenen Bewerbers.
- Nach der ständigen Rechtsprechung hat der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderte Leistungsvergleich der Bewerber um ein Beförderungsamt regelmäßig anhand aussagekräftiger, d.h. aktueller, hinreichend differenzierter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhender dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen. Maßgeblich ist hierbei in 1. Linie das abschließende Gesamturteil, welches anhand einer Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist. Bei gleichlautendem Gesamturteil ist der Dienstherr zunächst verpflichtet, die Beurteilungen umfassend inhaltlich auszuwerten und Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien zur Kenntnis zu nehmen.
- Führt auch ein Abgleich der Bewertungen der Einzelkriterien nicht zu einem Qualifikationsunterschied zwischen den Bewerbern, sind als weitere unmittelbar leistungsbezogene Kriterien frühere dienstliche Beurteilungen mit ihrem Gesamturteil und erforderlichenfalls auch den Einzelfeststellungen zu berücksichtigen.
- Solange dem Dienstherrn unmittelbar leistungsbezogene Erkenntnisse für der anzustellenden Vergleich mehrerer Bewerber vorliegen, ist deren zusätzliche Berücksichtigung bei der Auswahl nicht fakultativ, sondern mit Blick auf Art. 33 Abs. 2 GG vorrangig vor anderen Kriterien, insbesondere so genannten Hilfskriterien, wie etwa der Frauenförderung oder dem Dienstalter, geboten, wenn es gilt, einen Stichentscheid unter 2 oder mehr aktuell annähernd gleich beurteilten Beamten zu treffen. Auf Hilfskriterien, zu denen nach der Rechtsprechung des OVG Münster auch die Frauenförderung gehört, kommt es erst in einem weiteren Schritt an. Vorauszugehen hat stets eine unmittelbar leistungsbezogene Feststellung eines Qualifikationsgleichstandes.
- Mit § 19 Abs. 6 S. 3 LBG NRW n. F. erfährt das Tatbestandsmerkmal der Anführungszeichen „im Wesentlichen gleichen Eignung“ in S. 2 eine vom Gesetzgeber vorgegebene Konkretisierung, die mit dem in Art. 3 Abs. 2 GG festgeschriebenen Leistungsgrundsatz nicht mehr vereinbar ist. Auf der Ebene des Qualifikationsvergleich als dem 1. Schritt eine Auswahlentscheidung bleibt deshalb für die von dem Landesgesetzgeber mit § 19 Abs. 6 S. 3 LBG NRW n. F. intendierte Frauenförderung kein verfassungsrechtlich zulässiger Anwendungsbereich.
- Die grundrechtlich verankerte Förderung der Gleichberechtigung gemäß Art. 3 Abs. 2 S. GG ist nicht darauf gerichtet, die Geltung des Leistungsgrundsatz nach Art. 33 Abs. 2 GG generell einzuschränken.
In dem konkret entschiedenen Fall hat das OVG Münster die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt, welches dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben hatte mit der Begründung, dass die streitige Auswahlentscheidung den Antragsteller durch den vorschnellen Rückgriff auf das Hilfskriterium der Frauenförderung vor einem abschließenden Qualifikationsvergleich anhand leistungsbezogene Kriterien in seinem subjektiven Recht auf ermessens– und beurteilungsfreie Entscheidung über seine Bewerbung aus Art. 33 Abs. 2 GG, § 9 BeamtStG verletze. In Folge dessen blieb es der Antragsgegnerin untersagt, die in Rede stehenden Beförderungsstellen der Besoldungsgruppe A 11 mit den Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtserfassung des Gerichts erneut entschieden worden ist. Bei der neu zu treffenden Auswahlentscheidung hat sie neben dem Gesamturteil der aktuellen dienstlichen Beurteilungen zwingend auch deren Einzelfeststellungen sowie gegebenenfalls auch die leistungsbezogenen Aussagen in den jeweiligen Vorbeurteilungen zu berücksichtigen. Erst wenn sich hiernach ein Qualifikationsvorsprung eines oder mehrerer Bewerber nicht feststellen lässt, darf — sekundär — auf Hilfskriterien, wie etwa die Frauenförderung, abgestellt werden.
Die begrüßenswert deutlichen Ausführungen des OVG zu der kontrovers diskutierten Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 19 Abs. 6 S. 3 LBG NRW n. F. sind für eine Vielzahl erstinstanzlich anhängige Konkurrentenklagen gegen Auswahlentscheidungen, die ebenfalls unter Anwendung der modifizierten Regelung zur Frauenförderung im LBG NRW getroffen wurden, von maßgebender Bedeutung. Während einige erstinstanzliche Gerichte bereits ebenfalls den Standpunkt vertreten hatten, dass § 19 Abs. 6 S. 3 LBG NRW n. F wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG verfassungswidrig sei, hatten andere Verwaltungsgerichte den Rechtsstreit ausgesetzt, um zunächst die Entscheidung des OVG Münster abzuwarten.
Sollten ungeachtet der Feststellungen des OVG auch künftig Auswahlentscheidung zu Gunsten von Bewerberinnen mit der Anwendung der neuen Frauenförderungsregelung in § 19 Abs. 6 S. 3 LBG NRW n. F. begründet werden, lohnt es in jedem Fall, hiergegen Konkurrentenklage einzureichen mit dem Ziel, dem Dienstherrn die angestrebten Beförderungen untersagen zu lassen. Unabhängig von etwaigen weiteren Rechtsmängeln erweisen sich solche Auswahlentscheidungen nämlich bereits aufgrund des unzureichenden Qualifikationsvergleichs durch vorschnellen Rückgriff auf das ist Kriterium der Frauenförderung als rechtswidrig und dürfen insoweit keinen Bestand haben.